Cannabis-Patient stirbt, nachdem die Polizei sein Gras beschlagnahmt hat

Für mich artet das in eine moralische Grundsatzdiskussion aus. Und genau das sollte es auch.

Ich kann deinen Standpunkt ja sehr gut verstehen. Und er ist rechtlich gesehen auch whs. der richtige. Aber lass uns das doch erstmal herausfinden, ob das rechtlich wirklich das war, was hätte passieren müssen. Der Herr könnte hier nämlich durch ein Grundrecht geschützt sein. Wie bereits geschrieben, könnte das hier der Art. 2 II GG sein (Recht auf körperliche Unversehrtheit). Und schon wird es interessant: Ich werde mal versuchen mein verstaubtes Wissen auszupacken und irgendwie in etwas Gutachtenähnliches zimmern. Das wird nicht Fehlerfrei sein, falls irgendein Jurist über die Ausführungen stolpern sollte

Achtung, Wall of Text:

I - Sachlicher und persönlicher Schutzbereich

Der sachliche Schutzbereich ist dann eröffnet, wenn der Staat in die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne eingreift. Vor nichtkörperlichen Einwirkungen gewährt das Grundrecht insoweit Schutz, als das Befinden des Menschen in einer Weise verändert wir, die der Zufügung von Schmerz entspricht[1]. Die Wegnahme von seinen Schmerzmitteln (sogar denen, die er legal besaß) hat definitiv dazu geführt, dass der Betroffene infolge extrem starke Schmerzen erlitt. Diese konnte er nur durch eine Medikation wieder auffangen, die ihn letztendlich umbrachte (Recht auf Leben, selber Artikel, selber Absatz - ich prüfe das hier jetzt zusammen, sonst würde das den Rahmen sprengen). Ich sehe den sachlichen Schutzbereich des Art. 2 II GG hiermit als eröffnet an.

Träger des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist jede natürliche Person. Auf den geisteigen, bzw. körperlichen Zustand der Person kommt es nicht an[2]. Der Kerl ist ein Mensch. Schutzbereich greift also.

II - Eingriff

Ein Eingriff in das Grundrecht liegt immer dann vor, wenn die Ausübung desselben durch staatliches Handeln teilweise oder gänzlich unmöglich wird.

Man mag hier vielleicht zweifeln, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Gesundheitsverschlechterung gekommen wäre. Eine ernsthafte Befürchtung, dass eine Verletzung von körperlicher Gesundheit oder Leben aus dem staatlichen Handeln resultiert, reicht laut BVerfG jedoch schon aus[3].

Ohne den Staatlichen Eingriff, namentlich der Entzug der Medikation, sowohl der legalen als auch der illegalen, wäre es sehr wahrscheinlich nicht zur Gesundheitsverschlechterung und schlussendlich nicht zum Tode des Grundrechtsträgers gekommen.

Ein Eingriff liegt also vor.

III - Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Beim Art. 2 II GG handelt es sich um ein Grundrecht mit allgemeinem Gesetzesvorbehalt. Art 2 II S.2 GG In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Es darf also durch ein Gesetz in das Grundrecht eingegriffen werden. Hier kommt das BtmG in Frage. (Oder die polizeirechtliche Vorschrift die Beamte berechtigt im Zuge von Strafverfolgung Eigentum einzuziehen - aber so weit bin ich im Studium nicht gekommen).

Das Gesetz muss formell und materiell Verfassungsmäßig sein. Hier mach ich jetzt mal kein Fass auf. Die polizeirechtliche Vorschrift sollte einwandfrei sein. Beim BtmG (falls einschlägig) ist Diskussionsbedarf vorhanden, ob es an der Stelle materiell verfassungswidrig ist, aber das würden den Rahmen sprengen. Also gehen wir auch hier davon aus, dass alles Sahne ist.

Es müsste weiterhin durch den Staat eine legitime Zwecksetzung erkennbar sein. Ich nehme das einfach mal als gegeben an.

Der Eingriff müsste geeignet sein, den legitimen Zweck zu fördern. Entzug von Substanzen, die der Gesetzgeber für den Bürger als ungeeignet ansieht, fördert den "legitimen" Zweck des BtmG. Das Einziehen von Material, was zur Strafverfolgung sichergestellt werden muss, fördert ebenso den legitimen Zweck der Strafverfolgung.

Der Eingriff muss verfassungsrechtlich erforderlich sein. Der Gesetzgeber muss von mehreren gleich wirksamen Mitteln dasjenige wählen, das das Grundrecht nicht oder weniger stark belastet[4].

Hier fangen jetzt die Schwulitäten an. Ich sehe das Beschlagnahmen von Betäubungsmittel, die vom Arzt verschrieben wurden, nicht als das Mittel an, welches das Grundrecht am wenigsten stark belastet. Was versprechen sich die Polizisten davon? Eine höhere Strafe später vor Gericht? Wo das Zeug doch vom Arzt verschrieben wurde. Und hier unterscheidet sich das Verfassungsrecht von deiner Argumentation, dass es rechtens war, dass die Staatsanwaltschaft es überhaupt beschlagnahmt hat. Nach meiner Interpretation ist das hier schon problematisch. Für eine einwandfreie Strafverfolgung hätte das Sicherstellen der Pflanze, welche zweifelsfrei illegal war, genügt. Nur weil er "kriminell" ist und auch so behandelt wurde, heißt das nicht, dass man dem Menschen hier Medikamente wegnehmen darf, die seine Lebensqualität sichern und, wie oben beschrieben, deren Wegnahme bereits den Schutzbereich des Art. 2 II GG eröffnen. Man hätte ihm wenigstens ein paar Präparate lassen können, den Rest einziehen und eine schnelle Überprüfung und Bearbeitung des Falles einleiten können. Laut Sachverhalt (Zeitungsartikel) hat sich die Polizei schon seit längerem mit ihm Beschäftigt (vorangegangen Kontollen, die als Schickane beschrieben wurden) und wissen können, dass es sich um einen chronischen Schmerzpatienten handelt.

Aber gut, sagen wir, du hast Recht und das Verhalten der Staatsanwaltschaft war erforderlich.

Dann kommen wir, last but not least, zur Zumutbarkeit.

Es sollten die Interessen aller Parteien berücksichtigt werden. Die Interessen des Staates beschränken sich auf die Aufklärung einer Straftat. Um die öffentliche Sicherheit kann es der Staatsanwaltschaft nicht gegangen sein, da er nicht beim Autofahren oder bedienen von schweren Maschinen unter Drogeneinfluss erwischt wurde. Nach Sachverhalt hat ihn die Polizei in seiner Wohnung aufgesucht. Die Aufklärung eines Verbrechens ist kein triviales Interesse. Die öffentliche Sicherheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Durchsetzung der Rechtsordnung sind auch für mich sehr wichtig. Auch das Sicherstellen von so vielen Beweisen wie möglich ist ein legitimes Interesse der Staatsanwaltschaft, um nachher eine stichhaltige Anklage vorbringen zu können. Alles richtig so.

Auf der anderen Seite steht das Interesse des Betroffenen, so schmerzfrei wie möglich Leben zu wollen. Für ihn besteht (wie sich zeigte leider zurecht) ein hohes Risiko an handelsüblichen Schmerzmitteln zugrunde zu gehen, da sein Körper bereits schwer geschädigt ist und es sich bei herkömmlichen Schmerzmitteln nicht um allgemein sehr körperverträgliche Substanzen handelt.

Welches Interesse wiegt nun schwerer? In der Regel würde ich zur Staatsanwaltschaft tendieren und der Aufklärung des Verbrechens das wichtigere Interesse zusprechen. Hier haben wir nur ein Problem. Der Betroffene handelte zwar offensichtlich (teilweise, weil nicht alle Analgetika illegal waren) rechtswidrig, jedoch verletzte keine Rechtsgüter von seinen Mitmenschen. Er gefährdete niemanden außer sich selbst, was das BtmG ja auch verhindern will. Im Gegenteil sogar, er half sich selbst damit. Die Tatsache, dass er sich die legale Variante nicht dauerhaft leisten konnte, darf hier nicht trivialisiert und als sein Problem hingestellt werden. Man würde sonst das Recht auf schmerzfreies überleben (da andere Therapieansätze zum Tod führen) von der Größe des Geldbeutels abhängig machen. Dadurch, dass er sich seine Betäubungsmittel auch selbst herangezüchtet hat, und sie nicht von einem anderen stahl, ist es, wie bereits erwähnt, ein Verbrechen ohne Opfer. Es sind keine Rechtsgüter dritter verletzt. Hätte er eine Apotheke überfallen um sich sein Präparat so zu besorgen, hätte ich zB an dieser Stelle auch verneint. Da aber niemand zu Schaden kam, im Gegenteil (auch bereits angesprochen) sich eigentlich nur der Gesundheitszustand verbesserte, muss ich hier ganz klar sagen, dass seine Interessen überwiegen.

Wir haben kein Opfer. Wir haben keine potentiellen Opfer. Wir haben nur eine Gesundheits und Lebensqualitätssteigerung. Auf der anderen Seite haben wir eine reibungslose Ermittlung und Beweissicherung die zu extremen Schmerzen und letztlich zum Tod des Betroffenen führte.

Go figure.

Daher sehe ich das Grundrecht als verletzt an. Eine Grundrechtsverletzung liegt somit vor.

[1] - BVerfGE 56, 54/75 [2] - Mansen, Staatsrecht II, 11. Auflage, Rn. 272 [3] - BverfGE 51, 324/347 [4] - BVerfGE 53, 135/145f; 67, 157/177

Jetzt habe ich quasi sogar rechtliche und moralisch Seite in einem Rutsch totgeschlagen. Ich dachte ich müsste das separat machen :)

Ich hoffe du liest das... ich habe jetzt einfach mal angenommen du meinst das ernst was du schreibst und hast Interesse an einer Diskussion. Was ich geschrieben habe war bestimmt nicht ganz perfekt und hat evtl Logiklücken, aber die darfst du mir dann um die Ohren hauen. Was sagst du zu meiner Argumentation?

Tl;Dr : Ich bin nicht so ganz mit deinen Ausführungen einverstanden, kann sie aber nachvollziehen.

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