Es begann in Mekka - Im November 1979 überfielen religiöse Eiferer die Große Moschee – ein Anschlag, der zum Auftakt des weltweiten islamistischen Terrors werden sollte

Scheich Ibn Baz gilt als einer der strengsten Vertreter der Wahhabiya, der radikal-puritanischen Interpretation des sunnitischen Islams, die in Saudi-Arabien so etwas wie die Staatsdoktrin ist. Seine Forderungen nach einer Rückkehr zu den unverfälschten Traditionen, zu den Wurzeln der Religion verschaffen ihm viele Sympathien in der konservativen saudischen Gesellschaft. Denn in jenen Jahren, den Siebzigern, durchläuft das Land – als Reaktion auf den heftigen sozialen Wandel infolge der Modernisierung – einen Prozess der Re-Islamisierung.

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Indessen bemüht sich König Khaled, die Blamage vergessen zu machen und seine Autorität wiederherzustellen. Von nun an geben sich die Al Saud noch religiöser als die Eiferer, regelmäßig demonstriert die Herrschersippe ihre Frömmigkeit in der Öffentlichkeit.

Parallel dazu gehen sie zur Gegenpropaganda über. Das Sakrileg der Moscheebesetzung macht es einfach, die Aufständischen zu »Feinden der Religion und des Vaterlands«, zu »Verbrechern« oder »Verrückten« zu erklären. Vor allem aber zielt die Kampagne auf Utaibi selbst: Zum einen denunziert sie ihn als Analphabeten, ungebildet und unfähig, den Koran zu interpretieren; zum anderen werden Gerüchte lanciert, Utaibi sei homosexuell und drogensüchtig gewesen.

Um ihre Allianz mit den Religionsgelehrten zu festigen, verschärfen die Al Saud zahlreiche Gesetze: Die Rechte von Frauen werden weiter eingeschränkt mit dem Ziel, sie möglichst aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Fortan erhalten sie nur noch dann Geschäftslizenzen, wenn sie nachweisen können, dass Männer die Geschäfte führen; Auslandsstipendien bekommen sie nicht mehr. Zudem lässt die Regierung alle Videotheken schließen; Ausländern wird jede Form nichtislamischer Religionsausübung verboten.

Auf diese Weise löst der Anschlag auf die Große Moschee in Mekka auch eine forcierte Wahhabisierung Saudi-Arabiens aus. Ideologisch fällt das Wüstenkönigreich zurück ins 18. Jahrhundert, in die Zeit Mohammed Ibn Abd al-Wahhabs, des Begründers der Wahhabiya.

Die Religionsgelehrten revanchieren sich mit Kooperation. Gleichwohl sind sie genötigt, sich mit den Lehren der Fundamentalisten zu befassen. Besonders heikel ist die Situation für Ibn Baz, den früheren Mentor der Ikhwan. Einerseits kann er weder einen Aufstand noch die Anwendung von Waffengewalt in der Großen Moschee gutheißen. Andererseits unterscheidet sich die Ideologie der Aufständischen, mit Ausnahme der Mahdi-Lehre, nur geringfügig von der wahhabitischen Staatsdoktrin – sie bedeutet im Grunde nur eine strengere Auslegung. Einige der führenden Theologen des Landes können ihre Sympathie für Utaibis Gruppe deshalb auch nur schwer verbergen.

Und die Zahl dieser Gelehrten wächst rasch. Überall an den Schulen und Universitäten des Landes beginnen sie die Schüler und Studenten zu indoktrinieren. Parallel dazu verstärkt Saudi-Arabien seine Missionstätigkeit und exportiert seine rigide Islam-Interpretation in alle Welt. Das radikale Gedankengut begeistert fortan Tausende junger Muslime für den Dschihad. Es ist jene Saat, die heute aufgeht – im blutigen Terror von al-Qaida.

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