[Fanfiction] Akopalypse nun

Der Blick in den Spiegel dämpfte seine gerade wieder etwas aufgehellte Laune gewaltig. Er sah aus wie ein Zombie, schoss es ihm in den Kopf. Seine Haare, die er vorhin nur notdürftig trocken gerubbelt hatte, standen wild in alle Richtungen. Seine Haut wirkte blass und fahl. Schrecken und Schmerz waren immer noch deutlich in seinen von dunklen Schatten umgebenen Augen abzulesen. Blutspritzer, Dreck und Schürfwunden an seinem Hals und Oberkörper komplettierten das desaströse Bild. Er griff zu einem kleinen Handtuch, tränkte es in warmem Wasser und begann nach und nach die Spuren seines Sturzes, seines Unfalls, seines Kampfes zu beseitigen so gut es eben ging. Derweil ging ihm Nils Blick nicht aus dem Kopf – nicht der erleichterte, aufmunternde Blick von eben – nein, der davor. Der Blick, der von Angst aber auch Unsicherheit geprägt war. Der Blick, der in den hellblauen Augen seines Freundes gelegen hatte, würde ihn sicherlich noch etwas verfolgen. Simon wusste, welche Gedanken in diesem Moment durch Nils Kopf gegangen sein mussten: ‚Wurde er gebissen?‘, ‚Ist er infiziert?‘, ‚Was, wenn er gebissen wurde?‘. Sie hatten sich in ihren diversen Showformaten schon oft über solche Situationen unterhalten und in ihren theoretischen Diskussionen, die meist um einen Tisch in den sicheren Räumen ihrer Redaktion stattgefunden hatten, waren sie schnell zu dem Konsens gekommen, dass es für ein infiziertes Mitglied einer Gruppe nur eine Lösung gab: ausstoßen oder direkt umbringen. Aber nun, da es kalte, bittere Realität geworden zu sein schien, ließ ihm diese Frage keine Ruhe. Wie schnell die Dinge sich doch ändern konnten, wenn man auf einmal selbst in einer solchen Situation steckte. Rational war Simon immer noch überzeugt von seiner bisherigen Meinung, aber was wäre gewesen, wenn…? Harsch unterbrach er seine eigenen Gedanken, verbot sich selbst, weiter darüber zu sinnieren. Schließlich hatte er keinerlei Ahnung, was sie überhaupt soeben erlebt hatten. Als Nils den Hauptraum des Bootes betrat, hatten Budi und Etienne ihre aufgeregt wirkende Konversation beendet und ihn erwartungsvoll angeschaut. Nils gab ihnen mit wenigen Worten zu verstehen, was soeben vorgefallen war und sie ließen es kommentarlos darauf beruhen. Also erkundigte Nils sich nach ihren Tätigkeiten in den letzten Minuten seiner Abwesenheit. „Haben versucht, unsere Familys zu erreichen.“, sagte Eddy mit einem Blick, der Budis nächste Worte eigentlich unnötig machte. „Nicht erreicht. Netze tot oder so.“ Eddy hakte sich wieder ein: „Wir ha‘m jeden versucht, anzurufen. Eva, Budis Frau, Ian, unsere Eltern, Geschwister – kein Plan, was wir jetzt machen sollen, ey.“ Budi nickte eifrig, um die Worte des anderen zu unterstützen. „Können wir vielleicht erstmal klären, was das da draußen war? Wir denken doch alle dasselbe, oder?“, fragte Nils. Das Schweigen im Raum bestätigte ihn in seiner Annahme. Da jedoch keiner das auszusprechen wagte, was sie dachten, übernahm er diese Aufgabe: „Also, Zombie-Apokalypse – for real.“ „Jupp.“ „Scheint so.“ „Mhmm. Ihr seid sehr hilfreich.“, schloss Nils. „Ja sorry, Mann, aber das vielleicht auch unsere erste Zombie-Apokalypse.“, entgegnete Eddy patzig und Stille legte sich wieder zwischen die Drei. „Akopalypse.“, warf Budi ein – ein alter Witz – warum, wusste er auch nicht genau – wahrscheinlich einfach, um etwas zu sagen und das Schweigen zu durchbrechen. „Wir brauchen Informationen, würd ich mal sagen.“, setzte Nils erneut dazu an, ein produktives Gespräch aufzubauen. „Vielleicht ist das ja nur hier – in diesem Dorf, in dieser Gegend – was weiß ich. Und deshalb sind hier die Handynetze ausgefallen – oder wir befinden uns eh außerhalb des Netzes – ich mein, wir sind hier schließlich nicht in ner Großstadt oder so.“ Eddy und Budi nickten. Nils Worte klangen logisch. Ein wenig Hoffnung, dass dies alles nur ein lokales Problem war, dass es ihren Familien zuhause in Deutschland gut ging, dass sie sie wahrscheinlich sogar auslachen würden, wenn sie nach Hause kämen und von Zombies erzählten, regte sich in ihnen. „Informationen. Zeitung. Tankstelle?“, sagte Budi. Nils wünschte sich lautlos, dass Daniel doch bitte mal in ganzen Sätzen sprechen würde, unterdrückte aber das gereizte Augenrollen und nickte stattdessen bestätigend. Als Simon 10 Minuten später den Raum betrat, lag der Plan bereit. Sie hatten Wasserkarten studiert, wasserseitig gelegene Infrastrukturen in ihrer Nähe gesucht und waren zu dem Schluss gekommen, dass sie ein Stück weit zurück flussaufwärts fahren würden, auch wenn dies ein harter Konflikt gewesen war. Schließlich hatte das Argument, dass sie sich dort auskannten und deshalb gezielt und zügig bewegen konnten, dazu geführt, dass sich alle drei auf dieses Ziel geeinigt hatten. Simon sah schon wieder einigermaßen in Ordnung aus, fand Budi, als er seinen Freund begutachtete. Er humpelte zwar etwas und wirkte immer noch leicht blass, hatte jedoch nicht mehr viel von dem erschreckenden Bild des nassen, blutüberströmten Mannes, den sie vor nicht allzu langer Zeit an Bord des Bootes gehievt hatten. Er fing den Blick von Simon auf und lächelte ihm zu. Simon war recht beeindruckt davon, dass die drei sich auf einen Plan hatten einigen können, und das dazu noch in so kurzer Zeit. ‚Es braucht also nur ne kleine Zombie-Apokalypse, um uns zu einer funktionierenden Gruppe zu machen.‘, dachte er sarkastisch. Während Budi, der sich am besten mit der Steuerung des Bootes auskannte, sich daran machte, zu wenden und das vereinbarte Ziel anzusteuern, erklärte Nils ihm ausführlich, wie sie vorgehen wollten. Eddy schien hingegen abgelenkt, schaute immer wieder auf sein Handy, tippte frustriert darauf herum und blickte ziemlich enttäuscht und finster drein. Er machte sich offensichtlich Sorgen um seine Frau und seinen Sohn, schloss Simon, der sein Verhalten beobachtet hatte, während er Nils mit halbem Ohr zuhörte. Seine Aufmerksamkeit schnellte vollständig zurück zu Nils, als dieser gerade erklärte: „Du bleibst also hier, sicherst das Boot. Wir beeilen uns. Eddy wird den Funkkontakt halten.“ Eddys Kommentar „War also doch zu was gut, dass ich n paar Walkie Talkies aus der Redaktion mitgenommen hab.“ brachte ihm einen bösen Seitenblick von Nils ein. „Ich alleine?“, fragte Simon leise. Nils sah die Unsicherheit in Simon und legte ihm beruhigend eine Hand aufs Knie. „Du kriegst das schon hin. Wir sind maximal 10, 20 Minuten weg. Und es geht ja nur darum, dass keiner das Boot kapert, während wir weg sind. Verstehst‘e?“ Simon nickte langsam. ‚In Horrorfilmen stirbt immer der zuerst, der allein gelassen wird.‘, schob sich ein unschöner Gedanke in den Kopf des Brünetten. Er entschied sich dennoch zu schweigen und den Plan der anderen zu akzeptieren. ‚Wann kam es schließlich schon einmal vor, dass die drei sich einig waren? Da konnte er ja wohl schlecht etwas dagegen sagen. Andererseits waren sie natürlich auch nicht diejenigen, die verletzt alleine auf einem Boot zurück gelassen wurden.‘ Bevor seine Gedanken ihn wie ein Strudel herunter sogen, konzentrierte er sich lieber wieder auf Nils und dessen Worte. „Eddy und Daniel haben versucht, ihre Familien zu erreichen.“ Der Satz hing bedeutungsschwanger in der Luft. Sowohl Etienne als auch Simon warteten auf die nächsten Worte. „Wir sind nicht sicher, was uns erwartet, was das hier alles ist, aber das wollen wir herausfinden – vielleicht werden wir dort auch Handyempfang haben. Das würde alles einfacher machen.“ Eddy nickte. Seine Körperhaltung hatte sich verändert und seine Schultern hingen nicht mehr ganz so trostlos. Eddys Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, während sie an den endlos gleichen Bäumen, die die Ufer der Themse säumten, vorbei fuhren. Aufgeregt und durchaus schlecht gelaunt tigerte er durch die beengten Räume auf dem Boot, stellte sich hinter Budi, als wolle er sicher gehen, dass dieser das Boot auch ja richtig steuerte und keine Pause machte. Dass der Schwarzhaarige auf sein Verhalten auch noch nett und verständnisvoll reagierte und ihm somit keine Chance bot, sich an ihm abzureagieren, machte ihn noch zusätzlich wütend. Eine Stunde Fahrtzeit hatte Budi geschätzt bis sie an jener Anlegestelle ankommen würden, die sie ausgesucht hatten. Nur ein paar Häuser, keine große Stadt, nicht mal ein Dorf. Somit auch nur wenige potentielle Zombies. Eine Stunde voller Ungewissheit geprägt von den Schrecken, die sie im letzten Dorf überrumpelt hatten. Eine Stunde, in denen er sich Gedanken machte um seine Freunde, seine Eltern und seine Schwester – aber allen voran natürlich um seine eigene kleine Familie: seine Frau, die mit ihrem gemeinsamen Sohn Jonathan alleine zuhause war. Eine Stunde, in der er den Gedanken ‚Zombie-Apokalypse‘ abwechselnd immer wieder akzeptierte und verwarf. Eine Stunde, in der er sich Gedanken machte um die drei Leute, mit denen er nun gemeinsam in diesem Boot saß. Simon, der in der ersten Gefahrensituation zu Schaden gekommen war. Simon, der immer schon etwas gefährlicher lebte als andere – einfach weil er oft tollpatschig und unüberlegt an Situationen heran ging. Nils, der abgeklärte Mann, dem in Sachen Ironie und Sarkasmus keiner etwas vormachen konnte. Intelligent aber manchmal auch absoluter Troll, bei dem man nie wusste, ob eine Geschichte gerade ernst oder völlig frei erfunden war – selbst wenn man ihn schon so lange kannte wie er selbst. Und dann war da noch Budi, der Nette, die gute Seele von rocketbeans. Der einzige der Vier, der außer ihm eine Familie zuhause hatte. Eine Stunde, in der er versuchte, sich vorzustellen, was vorgefallen sein konnte, was zuhause gerade vorfiel. Eine Stunde, die längste Stunde seines bisherigen Lebens, die endlich vorbei war, als Budi sagte: „Da vorne ist es. 5 Minuten.“

/r/rocketbeans Thread Parent