BAMF: Vier von fünf Flüchtlingen schaffen Deutsch-Test nicht

Ich habe in so einer Schule gearbeitet. Meiner Erfahrung nach gibt es viele Gründe warum einige ihre Tests nicht schaffen.

Erstens, mag 1300 Stunden oder was auch immer nach extrem viel klingen, aber ich selbst habe auch 3 Semester gebraucht, um Spanisch auf B1 zu lernen. Das waren auch 300 Stunden Unterricht für Akademiker, von einer Sprache, die dem Deutschen sehr ähnlich ist. Mit dem gleichen Alphabet, vielen gleichen Wörtern etc. Und natürlich habe ich auch Zuhause gelernt.

Manche Araber und Afrikaner müssen erstmal schreiben lernen. Manche können kaum den Stift richtig halten am Anfang. Diejenigen, die schon ihre eigene Sprache schreiben können, sind häufig wesentlich besser im Deutschlernen (und es gibt auch eigene Kurse für Leute, die schon nicht-Latein schreiben können). Arabisch (oder Tigri etc.) sind dem Deutschen wesentlich weniger ähnlich als Spanish und allein deswegen schwieriger zu lernen. Die Araber haben mir gesagt "Deutsch wird nicht nur verkehrt rum geschrieben, die ganze Sprache ist verkehrt rum".

Die Art wie die Kurse organisiert sind, ist auch vielleicht nicht optimal. Die Kurse werden von privaten Trägern gegeben, die dann ihrerseits beim Staat Anträge etc. stellen, um Geld zu bekommen. Es liegt im Interesse der Träger, dass alle Kurse möglichst voll sind. Wenn jemand kommt, der Analphabet ist, aber man gerade einen anderen Kurs vollkriegen muss, in dem alle anderen schon schreiben können, dann steckt man den da vielleicht trotzdem rein, denn Geld gibt's so oder so, selbst wenn die Person die Prüfung nicht besteht. Generell gibt es so oft organisatorische Probleme. Angenommen jemand hat A2 bestanden und möchte jetzt B1 machen, dann muss die Person vielleicht 3 Monate warten bis ein neuer Kurs startet. Dann machen halt viele was anderes statt Sprachkursen (wie arbeiten).

Einige sind zu alt und es nicht gewohnt auf akademische Art Dinge zu lernen. Diesen Leuten etwas beizubringen dauert ewig.

Ähnlich ist das bei ungebildeten Menschen. Wer als Kind nicht zur Schule geht, wird ein fundamental anderer Mensch. Rumsitzen und lernen fällt denen extrem schwer. Außerdem wird meiner Meinung nach in den offiziellen Tests auch einiges vorausgesetzt, das nicht mit Sprachkompetenz an sich zu tun hat. Ich rede von analytischen Fähigkeiten, sich auf das wesentliche zu beschränken, keine wichtigen Sachen zu vergessen etc. Erinnert ihr euch an den Deutsch-, und Englischunterricht von eurer Schule? Ihr musstet wahrscheinlich auch ständig Zusammenfassungen schreiben etc. Den Flüchtlingen fehlt dieses Training, und sie bekommen es auch nicht in den Sprachkursen (bis B1 zumindest nicht).
Selbst so simple Dinge wie "Wenn du bei multiple choice Aufgaben die Antwort nicht weißt, dann mache einfach irgendwo ein Kreuz", muss man denen explizit sagen. Man muss "Aufgabentypen" lernen, damit alle z.B. verstehen was ein Lückentext ist etc. Viele von denen sehen in den Sprachkursen zum ersten mal in ihrem Leben einen Lückentext.

Einige sind jung, aber für sie ist arbeiten wichtiger. Sie arbeiten nebenher und, obwohl die Sprachkurse eigentlich Priorität haben sollen, vernachlässigen sie die Sprachkurse. Sie kommen zu spät, oder manchmal gar nicht, sie suchen nach Möglichkeiten schneller an bessere Arbeit zu kommen und ziehen manchmal plötzlich in irgendeine ganz andere Stadt, weil sie dort Arbeit gefunden haben (normalerweise Zeitarbeitsfirmen). Dann brechen sie den Sprachkurs natürlich ab. Für viele ist Arbeit die mit Abstand größere Priorität.

Einige (vorwiegend Männer) haben einfach keinen Bock. Andere (vorwiegend Frauen) sind so schüchtern/zurückhaltend/ängstlich, dass sie kein Wort sagen und dann auch wenig lernen.

Viele haben psychische Probleme. Man hört ja oft, von irgendwelchen dramatischen Schicksalen aus Syrien z.B., aber es ist etwas anderes, wenn man persönlich mit so etwas in Kontakt kommt. Wenn man jemanden fragt "Warum fehlst du in letzter Zeit ständig im Unterricht? Es kann doch nicht so anstrengend sein 3 Stunden am Tag Deutsch zu lernen." und der dann irgendeine Panikattacke / deliriumartigen Zustand bekommt und sagt, dass seine Schwester in Eritrea geköpft wurde. Was sagt man dann? "Stell dich nicht so an"? "Ich verstehe es (ich verstehe es nicht), aber der Deutschkurs ist wichtig"?

Viele der Flüchtlinge kommen nicht aus einem anderen Land, sie kommen aus einer anderen Welt.

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