HEINZ BUSCHKOWSKY ÜBER DAS WAHLCHAOS UND DIE ZUKUNFT VON BERLIN - „Mir ist es fast peinlich, mich als Berliner zu outen”

Keiner kennt Berlin so gut wie Heinz Buschkowsky (SPD). Und kaum einer ist so wütend über das Chaos am Wahlsonntag. Im Interview mit „Cicero“ sagt er, was das Debakel für Berlin bedeutet. Und warum Franziska Giffey die Stadt nicht retten kann.
Antje Hildebrandt:
Herr Buschkowsky, Sie leben in Buckow. Konnten Sie am Wahlsonntag alle sechs Kreuze machen?
>Schlauköpfe machen Briefwahl.
Als alter Hase haben Sie vermutlich geahnt, dass es am Sonntag eng werden würde?
>Nein, das hat mit alter Hase nichts zu tun. Ich will stundenlangem Anstehen entgehen, weil irgendwelche Geistesgrößen keine Zettel sortieren können. Ich weiß, was ich wähle und muss nicht bis zum letzten Tag warten.
Haben Sie SPD gewählt? Oder sind Sie diesmal fremd gegangen?
>Wir haben in Deutschland geheime Wahlen, deshalb gelten solche Fragen als unschicklich. Aber ich will Ihnen verraten, dass ich derzeit mit dem Regierungskurs der Berliner SPD nicht einverstanden bin.
Haben Sie deshalb Wahlkampf für die CDU gemacht und eine gemeinsame Bürgersprechstunde mit der CDU-Frau Stefanie Bung abgehalten?
>Eine Bürgersprechstunde ist noch kein Parteienwahlkampf. Stefanie Bung ist eine tolle Frau – und nun Schluss mit der Aushorcherei!
Schade. Bei der Wahl ging es drunter und drüber. Es fehlten Stimmzettel, Unterlagen für Bezirke wurden vertauscht, Wähler wieder nach Hause geschickt. Hat Sie das genauso schockiert wie viele andere Berliner?
>Na ja, was heißt schockiert? Das ist eben Berlin unter Rot-Rot-Grün. Wer in dieser Stadt lebt, kennt das. Es gibt nur zwei Dinge, die wirklich zählen: Das eine ist Mittelmaß, und das andere ist Selbstherrlichkeit. Bürger oder ähnliche Phänomene sind lästig.
Im Rest der Republik zeigt man jetzt mit dem Finger auf uns. Nicht mal eine Wahl kriegen sie in Berlin hin ...
>... stimmt.
Was würden Sie den Kritikern entgegnen?
>Recht habt Ihr! Was wollen Sie denn sonst noch Glaubwürdiges sagen?
Na ja, so ein Chaos wie am Sonntag ist noch nie passiert.
>Nun, bei Wahlen noch nicht. Aber ansonsten schon. Ein Vierteljahr warten auf eine Autozulassung, keinen Termin im Standesamt bekommen zum Heiraten, Investoren vergraulen, Behördenschlampereien als Standard: Das ist für Berliner Alltag. Wenn Sie sich egal wo in Deutschland ein Auto kaufen, gehen Sie zur Behörde – und melden es an.
Und in Berlin?
>In Berlin können Sie sich erst einmal um einen Termin bewerben, an dem Sie Ihr Auto zulassen können. Überall Mitbewerber, und funktionieren tut nicht viel. Die Führung der Stadt ist geprägt von Dilettantismus und Egozentrik. Eine Laienspielschau. Ob wir keinen Flughafen bauen oder keine Wahl durchführen können, das ist halt unser Lable. Von preußischer Verwaltung verstehen unsere linken Himmelsstürmer nicht viel. Ich glaube, einige können „preußisch“ noch nicht einmal mehr schreiben.
Ach, kommen Sie! Sie sind Berliner mit Leib und Seele. Und der typische Berliner ist nicht froh, wenn er nicht meckern kann. Nervt Sie dieses Berlin-Bashing im Rest der Republik eigentlich gar nicht?
>Nee, mir ist es inzwischen fast peinlich, mich als Berliner zu outen. Aber es kommt eben nicht von ungefähr. Wenn Sie sich die Ergebnisse der Neuzeiterrungenschaft Rot-Rot-Grün der letzten Jahre ansehen, bleibt außer Peinlichkeit kaum ein anderes Gefühl. Ein Senat, der einen angehenden Stasi-Major zum Staatssekretär ernennt, hat in der Bundesrepublik ein Alleinstellungsmerkmal.
Schmerzt es Sie gar nicht, dass von Ihrem politischen Erbe gar nichts mehr übriggeblieben ist?
>Ich war Bezirksbürgermeister von Neukölln, also Kommunalpolitiker. Die Landespolitik war nicht mein Metier. Vielleicht hätte ein bisschen meines Spirits dort hilfreich sein können.
So weit ist es schon gekommen, dass viele in Deutschland den Problembezirk Neukölln mit Berlin gleichsetzen.
>Das ist für Neukölln in der Tat wenig schmeichelhaft, wobei das Wahldebakel den Bezirk nicht getroffen hat. Dennoch macht es das nicht besser. Also, wenn ich dieses hilflose Hühnchen am Sonntag im TV da sitzen gesehen habe, konnte ich nur noch Mitleid haben.
Sie meinen die Landeswahlleiterin?
>Ja, diese Frau war doch nur noch ein Häufchen Elend. Völlig überfordert versuchte sie, das Desaster schönzureden. Es wäre doch gar nichts passiert. Mein Gott, irgendwo habe mal ein Stimmzettel gefehlt, oder ein paar Leute hätten nach 18 Uhr noch vor der Tür gestanden. Aber ansonsten alles paletti.
Am Ende hieß es, die Bezirke seien schuld. Macht sie es sich da nicht ein bisschen leicht?
>Für diese Ausrede brauchte sie 24 Stunden. Die kam erst am Montag. Irgendjemand muss ihr den Joker Nr. 1 der Senatsausreden verraten haben. Die General-Entschuldigung in Berlin, wenn der Senat überhaupt nicht mehr weiter weiß, lautet: Die Bezirke sind schuld. So war es schon immer, denn die Bezirke können sich nicht wehren. Das ist zwar Unsinn, aber der Senat behauptet das einfach. Die wahre Geschichte auseinander zu klamüsern, ist für die Medien zu kompliziert. Deshalb bleibt das Image bestehen: Die Bezirke sind blöd.
Fakt ist: Jeder Bezirk behandelt das Prozedere der Wahl anders. Ist es vor diesem Hintergrund nicht eher erstaunlich, dass die bisherigen Wahlen weitgehend glatt gelaufen sind?
>Aber ich bitte Sie! Die Durchführungsverantwortung liegt beim Senat. Zu meiner Zeit gab es intensivste Schulungen der Helfer, wie wo was abzulaufen hat. Schulungsunterlagen bis in den detaillierten Wahnsinn. Zum Beispiel: Sind Beschriftungen auf den Toilettenpapierrollen als Wählerbeeinflussung zu werten? In welcher Hand muss der Wahlvorsteher den Stift halten, um die Wählerliste abzuhaken, in welche Richtung schaut der Berliner Bär auf der aufgehängten Fahne? Und so weiter.
Ihr Fazit?
>Zu behaupten, die Bezirke regelten das allein und noch unterschiedlich, ist völliger Humbug. Aber man muss ja irgendwie rauskommen aus der Geschichte. Es ist schlimm genug. Sogar eine Bananenrepublik in Afrika kriegt eine Wahl besser hin.
Aber wie kann es sein, dass es in manchen Wahllokalen mittags keine Stimmzettel mehr gab? Wo hat es gehakt?
>An schlampiger Vorbereitung und Unkenntnis der Grundrechenarten. Wissen Sie, für jeden Stimmbezirk gibt es eine Wählerliste. Die ist numeriert. Sie wissen, wie viele Wähler maximal in Ihrem Wahllokal aufkreuzen können. Und wenn da 646 Namen stehen, dann brauchen Sie etwa 700 Stimmzettel und nicht 600. Ich weiß nicht, was da schiefgehen kann.
Na ja, zur Entschuldigung der Wahlhelfer muss man sagen, dass die Papiermenge diesmal sechsmal höher war.
>Ach was! Das ist natürlich zu viel verlangt, 700 mal sechs Zettel zusammenzustellen und die in die Wahllokale zu bringen. Da haben Sie natürlich Recht. Da kommen die Leute in Schweiß. Spaß beiseite, machen Sie sich mal nicht lächerlich.
Vergessen Sie die Corona-Vorschriften nicht.
>Ach ja, immer, wenn irgendwas nicht klappt, ist Corona Schuld. Corona hat die Ausrede „Bezirke“ in der Entschuldigungsnomenklatura abgelöst.

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