BILD legt sich mal wieder mit dem Jugendschutz an

VON JULIAN REICHELT

Sehr geehrter Herr Andreas Fischer*, es bereitet mir körperliche Schmerzen, in der Anrede diese Höflichkeitsformel zu verwenden, weil ich nach Ihrer Entscheidung an Ihnen, Ihrer Institution, Ihrem Weltbild und Ihrem Verständnis von der Pressefreiheit nichts Ehrenhaftes finden kann. Um es gleich zu sagen: Die Entscheidung, die Sie getroffen haben, ist schrecklich und falsch. Wir werden sie nicht akzeptieren, sie nicht hinnehmen und mit allen Mitteln – juristisch, journalistisch, politisch – dagegen vorgehen, bis Sie sich korrigieren oder korrigiert werden und anerkennen, dass Sie bei der Wahrnehmung des Ihnen erteilten Auftrags schlicht versagt haben. Sie erheben gegen uns einen der in unserem Rechtssystem denkbar schwerstwiegenden Vorwürfe, nämlich dass wir mit unserer Berichterstattung gegen Artikel 1 unseres Grundgesetzes, gegen die Menschenwürde verstoßen, weil wir das unermessliche Leid in Syrien so drastisch darstellen, wie es eben stattfindet, die dort begangenen Menschheitsverbrechen so schonungslos dokumentieren, wie es unsere Pflicht ist – und nicht müde werden, dies zu tun und unsere Berichterstattung auch immer wieder in den eindeutig gegebenen politischen Zusammenhang stellen.

Dazu zwei Anmerkungen, eine grundsätzliche und eine persönliche:

► Erstens, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ausgerechnet eine deutsche Institution im Angesicht von Menschheitsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine solche Entscheidung trifft und Berichterstattung über Tyrannei in irgendeiner Form zu beschneiden und einzuschränken versucht. Ihre Entscheidung und deren infame Begründung ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die aus der deutschen Geschichte gelernt und aus ihr heraus unser Grundgesetz geschaffen haben. Und es ist nicht weniger als ein Angriff auf einen anderen Artikel unseres Grundgesetzes, nämlich auf die Pressefreiheit.

► Zweitens, ich habe als Reporter über Jahre hinweg aus Syrien über den Krieg berichtet. Viele Szenen, wie unsere Fotos sie zeigen, habe ich selbst erlebt und fotografisch dokumentiert. Da Ihnen offenbar jedes Maß und jegliches Urteilsvermögen fehlen, da Sie – seien Sie dankbar dafür – vergleichbare Situationen offenbar nie erleben mussten, lassen Sie mich Ihnen sagen: Nicht das Foto ist die Verletzung der Menschenwürde, sondern die Fassbombe, der Giftgasangriff, das Schrapnell, das ein Kind von innen zerfetzt. Niemals werden wir uns vorschreiben lassen, wie wir solch abscheuliche Taten, diesen Zivilisationsbruch zu dokumentieren haben. Dass wir uns von Menschen „kontrollieren“ lassen müssen, die sich – aus welchen Motiven auch immer – zu solch schrecklichen Entscheidungen verleiten lassen, ist ein Hohn. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat uns die Begründung Ihrer Prüfgruppe übermittelt. Zwei Formulierungen daraus würde ich gern kurz kommentieren:

► Erstens: Es heißt, wir würden „die abwertende Zuschreibung 'Teufel' für den syrischen Machthaber Assad“ verwenden.

Dass Sie im Angesicht der systematischen Vernichtungsverbrechen durch das syrische Regime auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden, ob unsere Sprache gegenüber dem Massenmörder Assad „abwertend“ sein könnte, macht mich fassungslos. Dass Sie Jugend schützen wollen, indem Sie die Dokumentation von Gewalt gegen Kinder verbieten wollen, ist eine bittere Ironie, die offenbar nur Ihnen entgeht.

► Zweitens steht dort, dass wir „ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt.“ Soll ich Ihnen sagen, wer ein höchst berechtigtes Interesse an dieser schonungslosen Darstellung hat? All die Menschen in Syrien, die täglich dem Terror des Regimes ausgesetzt sind, ohne dass die Welt in fünf Jahren darauf eine angemessene Antwort gefunden hat.‎ Ohne die Medien und diese Form der Berichterstattung wäre dieser Krieg längst vergessen. Ein einziger Satz des skandalösen Schreibens ist richtig. Ich zitiere: „Die Fotos sollen bei den Lesern Empörung auslösen.“ Ja, das sollen sie. Empörung über Assad hat es viel zu wenig gegeben in den letzten Jahren. 500 000 Tote, in unzähligen Fällen: Ermordete würden das bezeugen, wenn sie noch könnten. Dass Sie sich vor diesem Hintergrund vor allem über BILD empören und sich sorgen, dass wir Assad mit „abwertenden“ Beschreibungen belegen, sagt alles über Sie und Ihre Geisteshaltung. Mich empört, was in Syrien geschieht. Sie hingegen empören mich nicht. Sie haben sich einfach nur lächerlich gemacht. Ihr Urteil wird nicht bestehen.

Mit freundlichen Grüßen Julian Reichelt

* Andreas Fischer ist Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz

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